Kausalitäts-Pingpong: Warum Systeme nicht scheitern – sondern sich erfüllen

Dec 18, 2025By Kolja Schumann
Kolja Schumann

Wir neigen dazu, Systeme moralisch zu bewerten: gerecht oder ungerecht, stabil oder defekt, gut oder schlecht geführt. Doch viele Dynamiken, die wir als „Versagen“ interpretieren, sind in Wahrheit strukturelle Notwendigkeiten.

Ein Beispiel:
Anwesenheit erzeugt Abwesenheit.
Nicht als Fehler – sondern als Bedingung von Form.

Wo Fokus entsteht, entsteht Verdrängung. Wo Ordnung aufgebaut wird, entsteht Spannung. Systeme existieren nicht trotz dieser Effekte, sondern durch sie.

Oft wird von einer impliziten „50/50-Logik“ gesprochen – als müsste Balance automatisch Fairness bedeuten. In der Praxis zeigt sich jedoch etwas anderes: Systeme verhalten sich nicht fair, sondern sensitiv. Kleine Abweichungen, minimale Asymmetrien oder ein einzelnes schwaches Glied reichen aus, um ganze Strukturen sichtbar zu verändern.

Nicht, weil dieses Glied „schlecht“ ist.
Sondern weil Kopplungen nicht gleichmäßig verteilt sind.

Interessant ist dabei die Mehrdimensionalität:
Diese Dynamiken wirken gleichzeitig auf individueller, gruppeninterner, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene – oft sogar innerhalb derselben Teams. Ohne äußeren Gegner. Ohne klare Schuldfrage.

Bewusst bauen wir Puffer, Redundanzen und Sollbruchstellen ein – Vorbereitung.
Unbewusst folgen wir rekursiven Mustern: Immer wieder dieselben Bauteile, neu angeordnet. Ähnlich wie in der Fibonacci-Logik entsteht aus Wiederholung kein Stillstand, sondern Emergenz.

Das sogenannte „schwächste Glied“ ist dabei nicht der Makel des Systems, sondern häufig dessen Informationspunkt mit der höchsten Aussagekraft. Dort zeigt sich, wie belastbar, lernfähig und adaptiv eine Struktur wirklich ist.

Entscheidend ist:
Dieses Prinzip ist wertneutral. Es bevorzugt weder das Gute noch das Schlechte. Moralische Gerechtigkeit ist ein menschliches Interpretationsinstrument – kein universelles Gesetz.

Vielleicht liegt genau hier eine unbequeme, aber produktive Erkenntnis für Führung, Organisationen und Transformation:

Systeme zerbrechen nicht an Ungleichgewicht.
Sie existieren nur durch asymmetrische Spannung.